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Herr Dr. Klingholz, in Ihrem Buch „Sklaven des Wachstums“ bezeichnen Sie das 21. Jahrhundert als Ära des Post-Wachstums – in der die Menschen sich auf gewaltige Umbrüche einstellen müssen. Was macht Sie so sicher, dass die Grenzen des Wachstums mittlerweile erreicht sind?
Wir erleben zunächst einmal – weltweit gesehen – noch immer ein sehr hohes Wachstum. Immer mehr Menschen steigen in die globale Mittelschicht auf, erlangen einen gewissen Wohlstand und sind besser gebildet. Diese Entwicklung führt überall auf der Welt zu sinkenden Kinderzahlen. Bereits heute lebt über die Hälfte der Menschheit in Ländern, in denen die Bevölkerung aus eigener Kraft mittelfristig nicht mehr wächst, dafür aber deutlich altert. Beides spricht eher für weniger als für mehr Wachstum.
Eine Folge von Wohlstand und gesellschaftlicher Entwicklung ist also ein Ende des Bevölkerungswachstums und der Einstieg in eine schrumpfende Weltbevölkerung, was wiederum weniger Wirtschaftswachstum bedeutet. Dieser Prozess wird vermutlich in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts dominant. Weit entwickelte Industriestaaten, in denen die Bevölkerung bereits heute schrumpft, wie Japan oder manche europäische Länder, werden ihn viel früher erleben. Addiert man hierzu die ökonomischen Bremseffekte, die der Klimawandel, die Erosion der globalen Ackerflächen oder das Absinken der Grundwasserspiegel in vielen Ländern verursachen werden, kommt man zu der Erkenntnis, dass sich das Wachstum von Menschheit und Weltwirtschaft irgendwann selbst ausbremst.
Und können Sie unseren Compact-Lesern ein paar Beispiele geben, was mit diesen Umbrüchen auf uns alle zukommen wird? Welche Auswirkungen wird das „Ende des Wachstums“ Ihrer Meinung nach z.B. auf unseren Konsum hierzulande haben?
Das Dilemma ist, dass dieses Ende des Wachstums zwar wünschenswert ist, denn wir leben nun mal auf einem endlichen Planeten, auf dem nicht mit immer mehr Aufwand immer mehr Güter produziert und verbraucht werden können. Aber gleichzeitig ist das Ende alles andere als erwünscht: Die meisten Menschen und fast alle Politiker wollen mehr Wachstum, letztere beschließen „Wachstumsbeschleunigungsgesetze“ und nehmen sogar Schulden auf, um Wachstum zu erzwingen. Wenn es in Zukunft von alleine zu Ende geht, ist das also nicht das Ergebnis einer weisen Einsicht. Das Problem ist, dass wir bisher keinerlei Konzepte haben, wie ein Wohlergehen der Gesellschaft ohne Wachstum zu organisieren wäre. Wir werden sie erst finden, wenn wir durch Krisen dazu gezwungen werden, durch Finanzkrisen, Klimakrisen, Rohstoffkrisen und Verteilungskonflikte. Dann werden wir feststellen, dass wir unser Leben auch mit weniger Konsum und Ressourcenverbrauch organisieren können – weil wir es müssen. Wer heute umweltbewusst lebt und seinen Konsum drastisch reduziert, macht nichts falsch, aber er oder sie rettet nicht die Welt. Denn wenn alle so handelten, würden unser Wirtschaftssystem, die Finanzmärkte und der Wohlfahrtsstaat kollabieren. Sie können ohne Wachstum nicht funktionieren.
Wir müssten also zunächst einmal das Wirtschaftssystem, die Finanzmärkte und den Wohlfahrtsstaat ändern.
In einem Interview mit Geo haben Sie geäußert, dass auch nachhaltiges Wachstum eine Illusion ja sogar ein Widerspruch in sich ist. Können Sie das näher erklären?
Nachhaltigkeit bedeutet, seine Umwelt so zu behandeln, dass sie späteren Generationen die gleichen Möglichkeiten bietet, von ihr zu leben wie uns. Wachstum hingegen bedeutet, mehr Güter und Dienstleistungen zu produzieren, was erwiesenermaßen zu mehr Rohstoffverbrauch und Müllproduktion führt. Nachhaltiges Wachstum ist also ein Oxymoron, ein Widerspruch in sich selbst. Die „Green Economy“ kann so grün werden, wie sie will, solange Wachstum ihr Ziel bleibt, kann von Nachhaltigkeit nicht die Rede sein. Denn auch „grüne“ Konsumgüter brauchen bei der Produktion Rohstoffe und Energie, müssen mit Maschinen produziert und zum Konsumenten transportiert werden. Vor allem müssen auch sie eine hohe Suggestionskraft entfalten, sonst kauft sie ja keiner und es kann kein Wachstum geben.
Nach den Ergebnissen einer unserer Umfragen im GfK-Haushaltspanel versuchen immer mehr Menschen in Deutschland bewusst weniger Lebensmittelvorräte einzukaufen, um weniger wegzuwerfen. Ein anderer Trend ist das sogenannte Foodsharing, das ebenfalls hilft, weniger Müll zu produzieren. Können solche, vergleichsweise bescheidenen Aktionen angesichts der bevorstehenden Umbrüche überhaupt etwas bewirken? Halten Sie sie für sinnvoll?
Das Umweltbewusstsein der Bundesbürger steigt seit vielen Jahren.
Dummerweise übersetzt sich das nicht unbedingt in eine umweltfreundliche Lebensweise. Gemessen an den Treibhausgasemissionen leben wir beispielsweise mehr als vierfach über unsere Verhältnisse. Auch wenn wir einen energiesparenden Kühlschrank kaufen, hat das unterm Strich wenig Effekt, weil die Kühlschränke immer größer werden, weil in vielen Haushalten zwei oder drei Kühlschränke stehen. Einsparungen werden meist durch Mehrkonsum an anderer Stelle überkompensiert. Dennoch sind die genannten Trends wichtig, vom Car- oder Foodsharing über Müllvermeidung bis zum Gemüseanbau im eigenen Garten. Wir retten damit zwar heute nicht die Welt, aber wir werden all diese Konzepte brauchen, wenn sich, wie oben erwähnt, die Rahmenbedingungen für unser Wirtschaftssystem ändern. Genauso funktioniert Evolution, die biologische wie die gesellschaftliche: Große Veränderungen entstehen nur nach Krisen und Katastrophen. Aber damit sich danach etwas verändert, müssen möglichst alle Bausteine für das Neue bereits vorher vorhanden sein. Aus diesen Bausteinen kann dann etwas Besseres entstehen, das wir allerdings heute noch nicht kennen.
Machen Sie sich persönlich Sorgen – z.B. um die Zukunft Ihrer Nachkommen – wenn Sie an die bevorstehenden Umbrüche denken?
Solange meine Kinder eine vernünftige Ausbildung mitbekommen, mache ich mir um sie keine Sorgen. Die haben ja viel zu tun, um die Dinge wieder gerade zu biegen. Sorgen mache ich mir um die vielen jungen Menschen in den Entwicklungsländern, die keine Jobs finden und nicht am wachsenden Wohlstand teilhaben können. Diese Länder brauchen erst einmal Wachstum und Entwicklung, damit sie sich aus der Falle des Bevölkerungswachstums befreien können. Wenn sie arm bleiben, geht das Bevölkerungswachstum immer weiter und die Probleme werden größer – bis hin zu demografischen Katastrophen.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
April 2014
Seite druckenDr. Reiner Klingholz
Geschäftsführender Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung und Autor des Buches “Sklaven des Wachstums”